Mittwoch, 13. Juni 2012

Ein Geschehen - acht Reporter und zehn Interpretationen ergeben: nicht die ganze Wahrheit

Im ersten Beitrag widme ich mich dem Anlassfall, der mich überhaupt dazu gebracht hat diesen Blog zu betreiben.
Ich liebe meine/n Beruf/ung und bin ein Verfechter des freien und wahren Wortes. Ich bin mir deshalb auch der buchstäblichen 4. Gewalt im Staat sehr bewusst und fassungslos über den oberflächlichen Umgang, den manche Kollegen damit - wenn auch oft gesteuert durch ideologische Indoktrination - betreiben.

Lassen Sie mich das anhand eines aktuellen Beispiels erzählen:

Die letzten Wochen waren die Medien in Österreich mit allerlei Geschichten rund um Martin Graf, Betrugsvermutungen, Titelmissbrauchsvorwürfen, (Un-)Schulds- vermutungen und allerlei sonstigen moralischen und juristischen Grausamkeiten geschmückt.
Bis auf wenige Ausnahmen haben nahezu alle regionalen und überregionalen Medien diese Themen derart strapaziert, dass ich den Eindruck gewinnen musste: da ist was Wahres dran.
Ich lasse die juristische Bewertung dieser Berichte bewusst außen vor und nehme mir statt dessen die Inhalte der Berichte zur Hand, sehe mir an, wer diese verfasst hat, frage nach, wie recherchiert wurde (wo ich nur selten eine Antwort darauf bekommen habe).
Und um mir selbst ein Bild davon zu machen, lasse ich mich zum Landesparteitag der FPÖ in Wien akkreditieren.
Mittlerweile habe ich schon festgestellt, dass die meisten "Berichte" zu diesen Themen im sogenannten "copy & paste"-Verfahren entstanden sind - ohne eigener Recherchen und ohne einer Überprüfung der Quellenangaben. Bei manchen Berichten kann man das Logo des Mediums beliebig austauschen und der Inhalt würde Wort für Wort derselbe bleiben.
Sehr verwunderlich, denn guten Journalismus zeichnet nicht das Nachschreiben eines Beitrags aus, sondern die eigenen Recherchen. Erst dadurch ergibt sich eine zwingend notwendige Meinungsvielfalt - die dann hoffentlich zu einem wahren Gesamtbild führt (schwarze Schafe gibt ja immer, die einfach nur wild in die Tastatur hämmern und sich nicht um die Konsequenzen Gedanken machen).

Also trabe ich in gewohnter Begleitung meiner Nikon und meinem guten alten Taschendiktiergerät in Richtung Hofburg, gespannt der Dinge und Aussagen, die da kommen werden.
Den Geschichten der Kollegen nach zu urteilen, muss da ja genug Material für eine investigative Geschichte drin sein. Das will ich selbst wissen und nicht am nächsten Morgen nachlesen.

Die erste Stunde verbringe ich mit der Aufnahme der Atmosphäre und versuche ein Gespür für die Stimmung zu bekommen. Ein kleiner Plausch hier, ein Schwätzchen dort, ein wenig reinhören, was denn so die Tischgespräche sind und ein wenig provozieren - nur ein wenig, ich will ja nicht die Türen schließen, sondern öffnen: Informationen kriegst Du nur dann, wenn man Dir vertraut.

Das Resümee der ersten Stunde: die Gespräche drehen sich um Bezirkspolitik, Ausbildungsmaßnahmen, Gesetzesänderungswünsche, vorbereitende Anträge und jede Menge politischer Alltagsarbeit. Martin Graf und die Geschichten rund um ihn sind nur vereinzelt und nur am Rande ein Thema. Es scheint, als wäre in dieser Angelegenheit bereits alles gesagt und entschieden.

Dann beginnt der Parteitag mit dem offiziellen Teil.

Ich erspare Ihnen und mir die Prozedur im Detail zu erzählen: es ist so, wie bei jedem Parteitag in jeder Partei. Langweilig für Nichtparteimitglieder, aufregend für die Newbies und spannend für die alteingesessenen  Parteigänger. Einfach business as usual.

Nach einigen Stunden sehe ich online in den APA-Meldungen nach und bin erstaunt: da schreiben die Funktionäre anderer Parteien einen Bericht über den Parteitag! Noch verwundeter werde ich, als ich lese, was denn da an diesem Parteitag alles passiert ist und ich beginne kurz an meinem Wahrnehmungsvermögen zu zweifeln, weil ich Geschehnisse lese, die ich nicht bemerkt habe - obwohl ich doch vor Ort bin, am Puls der Information und mit meinen Augen und Ohren aufnehme, was gesagt, beschlossen und diskutiert wird.
Ich lese auf meinem iPhone Kommentare zu noch nicht gesagten Äußerungen und Kritik an Dingen, die nie passiert sind.
Was für eine verkehrte Welt: in diesem Augenblick ist klar, dass die Nachrichten nicht nur "paste & copy" von Kollegen untereinander sind, sondern teilweise schon vorproduziert sind und offenbar sogar von Politikern.
Das kenne ich eigentlich nur aus Staaten wie Kuba, Venezuela und einigen anderen, in denen es eine freie Berichterstattung nur sehr rudimentär und manches mal auch unter großer Gefahr gibt.
Aber hier? In Österreich? Ich meine, dass manipuliert wird, ist ja wohl jedem klar, aber dieses Ausmaß überrascht mich doch sehr. Ich bin gespannt, ob diese Meldungen wieder von den Medien 1:1 übernommen werden.

Ich lese da von einem "müden" Parteiobmann, von einem, der seine Partei nicht im Griff hat und noch vieles mehr und stelle gleichzeitig fest: kein Wort davon ist wahr.

Ein wenige Hoffnung habe ich ja, dass die morgige Berichterstattung nicht gleichlautend mit den Wunschträumen der Politschrei(b)erlinge sein wird, denn:

Vor mir sitzen zwei sehr bekannte Journalisten. Beide hauptberuflich einer großen (nicht der gleichen) Tageszeitung verbunden. Beide in der politischen Berichterstattung zu Hause.
Er - smart und kritisch mit einem gesunden und zynischem Witz in seiner Berichterstattung auch ein wenig ein Vorbild, weil er sich die Finger auch gerne selbst einmal "schmutzig" macht auf der Suche nach der nächsten Geschichte und nicht einfach alles als gegeben hinnimmt, sondern auch kritische Fragen stellt und selbst recherchiert.
Sie - das "Zipferl" am Rock der Mächtigen, die gerne auch einmal ein Interview "schönt", Sachen "vergisst", oft und viel interpretiert und eine Meisterschaft im Kaffeesudlesen innehat. Und vor kurzem erst - verzeihen Sie mir - so richtig auf die Schnauze gefallen ist, mit einer Titelgeschichte zu einer für jeden ersichtlichen Zeitungsente.

Während er sich in guter journalistischer Manier seine Notizen und Aufzeichnungen macht, malt sie launisch auf ihrem kleinen Notizblöcklein kleine Comicfiguren. Ganz klar: diese Veranstaltung geht ihr gehörig auf den Geist.

Ich bin verwundert: wieso interessiert sie das Geschehen hier nicht? Weiß sie etwas, das ich noch nicht weiß? Womöglich kennt sie ja bereits den Ausgang und das Wahlergebnis und wartet nur mehr ungeduldig, dass sie endlich Feierabend machen kann? Das macht mich doch neugierig und ich nehme mir vor, ganz genau darauf zu achten, wie denn die Wortwahl ihres Artikels sein wird. (Tatsächlich bin ich doch sehr enttäuscht über den am nächsten Tag folgenden Artikel, der in ihrer typischen Manier leider wieder nicht objektiv, sondern reißerisch und unausgewogen ist.).

In der Zwischenzeit kommt das Wahlergebnis und die nächste Überraschung: der "müde" Parteiobmann erhält eine unglaubliche Mehrheit an Stimmen - noch mehr, als einige Jahre zuvor.
Und das, obwohl Martin Graf ja ein Österreich bewegendes Thema ist, wenn man den Zeitungen glauben mag er ja sogar staatsgefährdend ist und auf jeden Fall aus allem ausgeschlossen werden muss. Manche selbsternannten "wissenden Poster" in den diversen Foren - die ich mir in qualvoller Tortur vor dem Abenteuer "Landesparteitag" zu Gemüte geführt habe, um zu wissen, wie denn die Stimmung im Lande ist - fordern sogar: aus dem Leben an sich.
Und hier?
Hier herrscht ganz ein anderes Bild: sehr kritisch - auch und besonders mit Martin Graf - aber auch entschlossen, sich nicht durch Medienberichte steuern zu lassen.
Eigentlich sollte man meinen, das wäre ohnehin die Marschrichtung, die zu erwarten gewesen ist: stur bis zum geht-nicht-mehr, "erkenntnisresistent" (dieses Wort habe ich mir bei einem deutschen Kollegen ausgeborgt) in der Sache an sich und zu keinem Kompromiss bereit.

Nun folgt gleich die nächste Überraschung:
Der Obmann stellt klar: wenn etwas Unrechtes getan wurde, dann gibt es ganz klare Konsequenzen - raus aus der Partei und allen Funktionen - und das gilt für jeden, ohne Rücksicht auf die Person. Aber nicht, weil es die Medien so wollen, sondern weil es ein Gericht so entschieden hat und bewiesen ist.

Eigentlich hat er recht: nur weil einige es sich wünschen, ist es noch nicht die Wahrheit und nur weil einige es gerne hätten, ist es trotzdem noch nicht geschehen.

Die beiden Kollegen haben übrigens am nächsten Tag auffällig unterschiedlich reagiert - obwohl beide am gleichen Tisch gesessen sind. Während meine Kollegin in gewohnter Manier das Messer wetzt, (furchtbar, so eine ideologische Zwangsneurose, sich als "Topjournalistin" zu zeigen und sich um jeden Preis selbst für die Aufdeckerin der Nation zu halten) hat mein geschätzter Kollege hingegen kritisch, aber nicht polemisch berichtet. Guter Journalismus eben.

Diese Diskrepanz hat mich derart neugierig gemacht, dass ich mir vorgenommen habe, die anderen Arbeiten und Recherchen erstmal für eine Weile ruhen zu lassen und mich in den kommenden Tagen damit zu beschäftigen, was für ein Ziel und von wem dieses Ziel bei der ganzen bisherigen sehr unappetitlichen Berichterstattung angestrebt wird.

Denn eines ist klar: Martin Graf mag etwas zu verantworten haben. Dieser Verantwortung wird er sich stellen müssen - ob er will oder nicht. Er wurde aber nicht in die Funktion des 3.Nationalratspräsidenten gewählt, ohne der Stimme derjenigen, die ihn nun ans Kreuz nageln. Im Gegenteil.
Und es ist vermessen zu behaupten, Martin Graf würde exemplarisch für die Reputation sämtlicher Parlamentarier und von ganz Österreich stehen - das wird nämlich so dargestellt, als wenn Martin Graf alleine für den Ruf und die Reputation des gesamten Landes verantwortlich und wichtig wäre.

Tatsächlich wird in der Zwischenzeit und nahezu unkommentiert von den Medien hinter den Kulissen und Mauern des Parlaments - ich korrigiere: der übrigen Parteizentralen daran gearbeitet, die wirklich großen Verfehlungen ungehört, ungesehen und unbemerkt zu machen. Frei nach dem Motto: Graf ist wichtiger als die staatswichtigen Probleme und Herausforderungen.

Mal ehrlich: wenn interessiert es, ob Rechtsanwalt, oder Schuster auf einer Wahlliste steht, die mehr als zehn Jahre alt ist?
Niemanden.
Wen interessiert es hingegen, dass wir in den nächsten Monaten echte Sorgen über das Auskommen mit unserem Einkommen haben?
Richtig! Jeden.

Jedenfalls bin ich dann auch bei der "Demo" vor dem Parlament gewesen und habe einige gute alte Bekannte getroffen und einige lustige Bilder gemacht, die ich Ihnen morgen zeigen werde. Sie werden staunen und feststellen, dass eine Kamera viel verstecken, aber auch viel zeigen kann.

Vorweg als Anreiz, eine glatte Lüge:


Ihr Felix

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